unHEIMlich schön – Plattenbauästhetik in den Augen der Künstlerin Jana Rot
Ausstellungseröffnung im Rostocker Frauenkulturverein
Wie beeinflusst unsere Umgebung unsere Lebensqualität? Wer bin ich, woher komme ich oder was ist meine Rolle in der Gesellschaft? Diese Fragen umtreiben Jana Rot in ihrer künstlerischen Arbeit. Aus eigener Erfahrung beschäftigt sich die studierte Historikerin und Künstlerin mit der unheimlichen Ästhetik einkommensschwacher Wohngebiete. Im Sommer zeigt der Rostocker Frauenkulturverein Die Beginen e.V. ihre Werke in der Ausstellung unHEIMlich schön. „Der Ausdruck unheimlich schön verbindet Bedeutungskomponenten wie furchtbar, schrecklich, angsterregend auf widersprüchliche Weise mit positiver Wertung, so kann man jemanden oder etwas unheimlich gern haben; im Wortstamm liegt das Heim als vertrautes Zuhause verborgen.“
Die 38-jährige Künstlerin Jana Rot wurde in einer nicht mehr existierenden Stadt eines nicht mehr existierenden Landes geboren. „Ich selbst bin in Plattenhäusern in Naberežnye Čelny in Russland geboren und aufgewachsen (zu Sowjetzeiten hieß die Stadt Brežnev). Diese Stadt wurde als Zukunftsideal, als Musterbeispiel des kommunistischen Urbanismus gebaut.“ Als sie fünf Jahre alt war, zog ihre Familie vom Randbezirk mit einem Fichtenwald und Resten dörflicher Gegend aus einem fünfstöckigen Haus in ein neunstöckiges ins Zentrum der Stadt. „Damals glaubte ich, in einer beängstigenden Welt von Riesen gelandet zu sein. Diese endlosen Reihen an tristen, vielstöckigen Zwillingshäusern bedrückten mich mit ihrer Wucht, Einförmigkeit und Höhe. Ich hatte Angst, mich dem Fenster zu nähern.“
Als Jana Rot 2013 nach Deutschland, Greifswald umgezogen ist, wurde sie auf unangenehme Weise an ihre Heimat erinnert. „Die Plattenbauhäuser scheinen seit den DDR-Zeiten wie einkonserviert zu sein. Nur der Anstrich wurde aufgefrischt, Aufzüge wurden angebaut und bunte Graffitis an den Seiten angebracht, als ob es genug wäre, um die Lebensqualität ihrer BewohnerInnen zu verbessern.“
JANA ROT
Jana wurde 1984 in Breshnew, UdSSR, geboren, einer Stadt in der Republik Tatarstan, die inzwischen in Naberezhnye Chelny umbenannt wurde. Jana hat in Kasan und Moskau, Russische Föderation, gelebt und studiert, bevor sie nach Greifswald, Deutschland, zog, wo sie seit 2013 lebt. Sie begann 2014 mit dem Bachelorstudium Bildende Kunst und Slawistik an der Universität Greifswald und stellt seit 2016 in Gruppenausstellungen aus, nahm an Kunstresidenzen teil und bereitet sich derzeit auf ihre erste Einzelausstellung vor. Sie ist Mitglied im Künstlerbund Mecklenburg und Vorpommern e.V. im BBK und nimmt als Menteé am mentoringKUNST 2020-2022 MV Programm teil.
Geboren in einer Stadt und einem Land, die nicht mehr existieren, ist Janas künstlerische Praxis von Themen der Erinnerung und der Reproduktion der Vergangenheit geprägt. In ihrer Arbeit untersucht sie, wie solche Reproduktionen zu Verzerrungen der Realität führen und konzentriert sich darauf, das Unsichtbare sichtbar zu machen. So ist sie als Künstlerin z.B. Teilnehmerin am Projekt: Picturing Postsocialism: A visual anthropology study on the affective dimensions of “renovation” of panel homes in Moscow and Berlin.
Jana ist vielseitig in verschiedenen Medien tätig, darunter Malerei, Grafik, Druckgrafik, Collage, Fotografie, Stickerei und Installationskunst.
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In ihren Arbeiten macht sie ihre selbst gefühlten und beobachteten Missstände sichtbar. Rot ist vielseitig in verschiedenen Medien tätig, darunter Malerei, Grafik, Druckgrafik, Fotografie, Installationskunst und Stickerei. Mit Nadel und Faden greift die Künstlerin traditionelle Handarbeit auf, bricht allerdings die Verbindung von Handarbeit mit heimeliger Gemütlichkeit auf. Stattdessen werden Wunden sichtbar. „In der Serie unHEIMlich schön habe ich feine, zierliche und feminine farbige Stickereien auf grau-schwarzen unmenschlichen Architekturen angebracht. Sie stehen für eine Vergeblichkeit und Nutzlosigkeit, eine Sisyphusarbeit, als ob alle Frauen, die in diesen grauen und gleichförmigen, schachtelartigen Häusern leben, begonnen hätten, einen gemütlichen, schönen Kokon zu spinnen, um diese massiven und brutalen Formen zu verbergen oder zu mildern. Es würde ihnen aber nicht gelingen (…).“
Die Stickerei zieht sich als feministische Komponente wie ein Roter Faden durch Jana Rots künstlerische Arbeit.
„Als Künstlerin möchte ich auf diese Weise Probleme benennen, das Unsichtbare sichtbar machen und so zur Verbesserung der Umwelt und des Lebens der Menschen beitragen.“ In einer Einzelausstellung zeigt der Rostocker Frauenkulturverein drei Serien der Künstlerin: Fragile, Spuren und (Un)sichtbare Städte.
Seit 2021 ist Jana Rot Mitglied im Künstlerbund Mecklenburg und Vorpommern e.V. In diesem Jahr sind auch die ausgestellten Arbeiten entstanden.
Am 2. Juni um 18.30 Uhr findet die Ausstellungseröffnung mit Künstlerinnengespräch in der Galerie des Beginen e.V. im Heiligengeisthof 3 in Rostock statt. Das Programm wird ergänzt durch eine Lesung der Autorin Everest Girard. Everest Girard wurde 1982 in Frankreich geboren, lebt und arbeitet in Rostock als freie Autorin und Übersetzerin. Sie schreibt Kurzgeschichten und tritt auf Lesebühnen auf. 2020/22 nimmt sie am Professionalisierungsprogramm mentoringKUNST für Bildende Künstlerinnen und Autorinnen aus Mecklenburg-Vorpommern in Trägerschaft des Künstlerbundes Mecklenburg und Vorpommern e.V. im BBK teil. Aktuell ist ihr erster Roman in Arbeit.
Öffnungszeiten
2.6. – 1.8.2022, Beginen e.V., Heiligengeisthof 3
Mo – Mi 10.00 – 16.00 Uhr und auf Anfrage
Bitte beachten Sie:
Unsere Galerie ist gleichzeitig unser Veranstaltungsraum. Daher bitten wir Sie um eine kurze Anmeldung. Oder um Verständnis, wenn Sie bei einem Spontan-Besuch nicht in die Galerie können, weil der Raum gerade belegt ist.